„Schon wieder eine tote Maus“, dachte ich ärgerlich und wollte die Zange holen, mit der ich regelmäßig die „Geschenke“ meiner Stubentiger abräumte. Doch dann sah ich, dass es ein
Vögelchen war, das - kaum flügge geworden - in die Fänge meiner Katze geraten war.
Als ich es aufheben wollte, schlug es mit den Flügeln. Gott sei dank, es lebte also noch. Bei näherer Betrachtung wurde aber klar, dass es schwer verletzt war. Ein Beinchen hing leblos herab, und auch der kleine Körper war angegriffen. Ich war mir sicher: das Kleine hatte keine Überlebenschance.
Das weiche Federbüschel fühlte sich warm an, wie es so in meiner Hand lag, und ich spürte das Pochen seines aufgeregten Herzens. Da ich es vorsichtig mit beiden Händen
umschloss, beruhigte es sich, und mit seinem Schnäbelchen kuschelte es sich an meine Hand. Eine Weile dachte ich, dass ich seinem traurigen Leben ein schnelles Ende bereiten
müsste: es sollte doch nicht weiter leiden. Aber wie auch immer ich vorgegangen wäre, ich hätte es nicht fertig gebracht. Also saß ich weiter unschlüssig auf der Gartenbank und hielt das
Vögelchen in der hohlen Hand warm. So schlief es immer wieder kurz ein, um mich dann wieder mit großen Augen anzuschauen. Schließlich baute ich ihm ein kleines Nest.
Und weil das kurze Leben still zu Ende gehen sollte, stellte ich das Nestkörbchen auf den Deckel einer meiner Bienenkästen. So war das Kleine vor den Katzen sicher, und wie zum Schlaf kauerte es sich in die weiche Unterlage.
Zu viel Aufwand?
Doch dann, nach einem letzten Zucken der Flügel, fiel das Köpfchen leblos zur Seite.Ich werde die kleine Kreatur auf unserem „Tierfriedhof“ im Garten bestatten. Dort sind alle unsere
verstorbenen Haustiere begraben - und ebenso ein Igel, ein Sperber, ein Eichhörnchen und verschiedene andere wilden Kleintiere. So viel Aufwand für irgendwelche Tiere mag manchem
vielleicht übertrieben vorkommen, aber sollten wir nicht Ehrfurcht vor allem Leben haben? Folgen wir dem Arzt und Philosophen Albert Schweizer, ist das die einzig richtige
Lebenshaltung.
Denn durch Ehrfurcht vor dem Leben "kommen wir dazu, nicht nur mit Menschen, sondern mit aller in unserem Bereich befindlichen Kreatur in Beziehung zu stehen und mit ihrem Schicksal beschäftigt zu sein“.
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Annika (Donnerstag, 01 Oktober 2015 15:51)
Zwei weitere Gedanken dazu von Albert Schweizer:
Ethik besteht darin, dass ich mich verpflichtet fühle, allem Leben die gleiche Ehrfurcht entgegenzubringen, wie dem eigenen Leben.
Demut ist die Fähigkeit, auch zu den kleinsten Dingen des Lebens emporzusehen.
Caroline (Donnerstag, 01 Oktober 2015 15:52)
Dabei wollten Dir die Stubentiger doch nur Danke sagen. Aber da kann ich Dir nachfühlen. Unsere bringt auch so manch Getier. Ich finde es schön, dass Du den Vogel in Deinem Garten beerdigst. Manch anderer würde ihn einfach so in der Tonne entsorgen.