LebensFreude
Lebensfreude ist ein Zustand der heiteren Gelassenheit. Das Individuum, das bei den Epikureern im Vordergrund stand, soll ein ruhiges, ungestörtes Leben führen können.
Das Glück besteht in der aktiven Freude
Das einzig sichere Glück des Menschen nämlich, so lehrte Epikur, bestehe in der Freude, wobei er eine aktive und passive Freude unterschied. Die passive Freude bestehe im schmerzlosen Zustand, die aktive Freude im sinnlichen Genuss. Die Lust am Leben stetig auszukosten, mache die Kunst eines Weisen aus.
"Ich wüsste nicht, was ich mir überhaupt noch als ein Gut vorstellen kann, wenn ich mir die Lust am Essen und Trinken wegdenke, wenn ich die Liebesgenüsse verabschiede und wenn ich nicht mehr meine Freude haben soll an dem Anhören von Musik und dem Anschauen schöner Kustgestalten", schrieb Epikur an die Hetäre Leontion.
Mit seiner drastischen Fassung des Lustprinzips wollte Epikur aber keineswegs Ausschweifung oder schrankenlosen Egoismus propagieren, ganz im
Gegenteil. Nur wer seine eigene Lust bejahen könne, meinte er, werde auch das Wohlergehen der Mitmenschen im Auge behalten. Beim Streben nach Genuss solle man sich von der
Vernunft leiten lassen und in Philosophischer Reflexion das rechte Maß finden. Auf die kleinen, leicht erreichbaren Freuden müsse sich die sinnliche Begierde richten: "Schicke
mir ein Stück Käse, damit ich einmal gut essen kann."
"Nutze den Tag!"
Von dem Römer Horaz (65v.Chr.- 8v.Chr.) wurde der Appell von Epikur, die zur Verfügung stehende Lebenszeit bestmöglich zu nutzen, auf eine griffige Formel gebracht: „Carpe diem“, übersetzt „Nutze den Tag!“
Solchen Rat findet man inzwischen in vielen Büchern, die dem Leser ihre "kostbare Entdeckung eines anderen Lebens-Zeit-Bewußtseins" (Klappentext des Ratgeber- buches von Gerti Samel, "Mehr Zeit - Mehr Glück - Mehr Leben: Vom achtsamen Umgang mit jedem Augenblick", Gütersloh, o.J.) anpreisen. Oft beziehen sich solche Bücher auf Gedankengut des asiatischen Kulturkreises, besonders auf den Budhismus und Taoismus
Moral-Aposteln widersprechen
Auf ähnliche Denkansätze in der abendländischen Tradition, zum Beispiel in der Philosophie des Epikur - einer der vier wichtigsten philosophischen Schulen der Antike - wird in diesen Ratgebern selten Bezug genommen. Das ist kein Zufall. Aufgrund des wachsenden Einflusses der christlichen Theologie, in die eine ausgeprägte Leibfeindlichkeit hineingetragen wurde, fand die sinnlich geprägte Lebensfreude der Epikureer von der ausgehenden Antike über das Mittelalter bis heute oft keine Anerkennung.
Niemand sollte sich aber seine Freude am Leben von jenen Moral-Aposteln nehmen lassen, die zu allen Zeiten in dogmatischer Überheblichkeit ihren moralischen Zeigefinger hoben. Denn wir sind alle sinnlich geprägte Geschöpfe - ohne Lust gäbe es kein menschliches Leben! „Lust ist eben keine Abkehr vom so genannten Wesentlichen“, auch diese Einsicht verdanken wir klassischen Philosophen wie Epikur.
Neue Hinwendung zum Körperlichen
Erst Anfang des 20. Jahrhunderts konnten sich in größerem Umfang Bewegungen durchsetzen, die eine Hinwendung zum Körperlichen durch Sport, Wandern und andere Freizeitgestaltung in der Natur propagierten. So verstand sich zum Beispiel die "Wandervögel" als Gegenbewegung zu einem als „muffig“ empfundenen Bürgertum. Auf der Suche nach einem jugendgemäßen und familiengerechten Lebensstil, der lustvoll alle Sinne ansprechen sollte, kehrten sie der beengten, städtischen Lebens- und Wohnsituation mit wenig Luft und Licht den Rücken.
In bequemer und gesunder Kleidung erprobten sie eine einfachere, freiere und gesündere Lebensweise, die zu einer verantwortungsvollen Beziehung zur Natur und der Fülle des Lebens führen sollte. Viele Jugendbewegte entdeckten auch die Freikörperkultur als Ausdruck eines selbst bestimmten naturverbundenen Lebens.
In den liberalen Gesellschaften der Moderne hat das Individuum viele Möglichkeiten, dieses Lebensgefühl auszuleben, und das kann es guten Gewissens tun. Denn das haben wir von Epikur gelernt: "Die Lust am Leben stetig auszukosten, macht die Kunst eines Weisen aus."
Die Erhöhung und Verstetigung der Lebensfreude durch den Genuss eines jeden Tages, womöglich jeden Augenblicks, ist der Kern jeder Lebenskunst.